Das Konzentrationslager Riga-Jungfernhof
Einen Einblick in die Situation im Rigaer Konzentrationslager Jungfernhof im Dezember 1941 gewährt Paul Sauer in seinem Buch „Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs“:
„Die Deportierten kamen nach Jungfernhof in der Nähe von Riga. Die Männer erhielten eine Unterkunft in einer großen Wellblechscheune, die 100m lang und 15 m breit war. Da vom Dach nur Reste vorhanden waren und sich die Tore nicht schließen, lagen die Deportierten praktisch unter freiem Himmel. Schnee, Regen und Wind hatten fast ungehindert Zugang. In der Scheune befand sich nichts als Holzgestelle mit Schlafkojen durchschnittlich acht Etagen übereinander. Die Temperaturen in dieser Todesbaracke sank während des strengen Winters 1941/1942 beinahe ebenso stark wie im Freien. Überlebende berichten, dass in der Scheune mitunter eine Kälte von minus 30-40 Grad geherrscht habe. Viele erfroren während der Nächte. Ein besonderes Arbeitskommando mußte tagtäglich die steifgefrorenen Toten aus den 70 cm hohen Kojen herausziehen und abseits der Scheune aufstapeln. Die SS-Wachmannschaften leisteten sich viele Übergriffe. Wegen der geringsten Vergehen wurden Gefangene erschossen. Kranke erlitten das gleiche Schicksal.“
Paul Sauer: Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs
Der Gutshof Jungfernhof war erst kurz vor Ankunft der ersten Deportierten als Zielort für vier Deportationszüge ausgewählt worden. Vermutlich auch deshalb waren „Die Gebäude […] für die Aufnahme vieler Menschen ungeeignet. Dennoch wurden die Scheunen und Ställe im November 1941 kurzfristig mit Holzpritschen ausgestattet. […] Die Arbeiten wurden von lettischen Juden aus dem Ghetto in Riga, von sowjetischen Kriegsgefangenen und von Zivilarbeitern erledigt. Doch blieben die meisten Gebäude weiterhin ohne Heizmöglichkeit und baulich in einem desolaten Zustand. Teilweise waren die Baulichkeiten undicht und es schneite hinein.“[1]
Ein erster Transport erreichte den Jungfernhof am 2. Dezember 1941 Juden. Er bestand aus 1008 Juden aus Franken und hatte am 30 November 1941 ein Sammellager auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg verlassen. Es folge am 4. Dezember der Transport der 1013 württembergischen Juden aus dem Sammellager am Killesberg in Stuttgart. Weitere fünf Tage später, am 9. Dezember erreichte ein Transport aus Hamburg mit 964 Personen das Lager. Im Januar 1942 kam ein Transport aus Wien an, womit die Zahl der im Lager „untergebrachten“ Juden auf knapp unter 4000 Personen stieg.[2]
Während des harten Winters 1941/1942 starben zwischen 800 und 900 Insassen des Lagers. Sie erfroren, erlagen der Unterernährung oder den sich bald ausbreitenden Krankheiten. Der gefrorene Boden gestattete es nicht, die Verstorbenen zu begraben. Erst nachdem ein SS-Mann zwei Löcher in den Untergrund gesprengt hatte, wurden die Leichen in einem Massengrab verscharrt.[3]
Die Lagerinsassen arbeiteten in mehreren Arbeitskommandos, u.a. in einem Steinbruchkommando, das die dringend benötigten Steine für den Aufbau der Lagergebäude besorgte.
Im Januar 1942 überstellte der Lagerkommandant Seck ca. 200 Frauen ins Ghetto Riga, im Februar wurden die Kranken aus dem Lager abtransportiert. Mitte März wurde den Inhaftierten wahrheitswidrig mitgeteilt, sie könnten künftig in einer Konservenfabrik in Dünamünde arbeiten[4]. Tatsächlich aber war es ein Transport in den Tod – im Lauf des 26. März 1942 wurden zwischen 1700 und 1800 Gefangene im Wald von Bikernieki erschossen und in Massengräbern verscharrt.[5]
Die noch übrigen 450 Häftlinge bauten einen Gutshof auf, in dem sich die Lebenssituation für die Gefangenen verbesserte, doch folgten im Juli 1942 und 1943 weitere Abtransporte, so dass im August 1943 nur noch 82 Bewohner auf dem Jungfernhof lebten. 1944 wurde das Lager aufgegeben und die Bewohner wurden in ein nicht bekanntes anderes Gut umgesiedelt. Von ursprünglich 4000 Menschen überlebten lediglich 148.[6,7]
1. https://de.wikipedia.org/wiki/Gut_Jungfernhof_(Lager)
2. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gut_Jungfernhof_(Lager) (Zugriff: 10.11.2020)
3. https://de.wikipedia.org/wiki/Gut_Jungfernhof_(Lager)
4. https://de.wikipedia.org/wiki/Gut_Jungfernhof_(Lager)
5. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gut_Jungfernhof_(Lager)
6. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gut_Jungfernhof_(Lager)
7. Es überlebten vom Nürnberger Transport 52 Menschen, aus Stuttgart 42, aus Wien 18 und aus Hamburg 35 Menschen.