Grünfeld – Gretchen


Lage: Alte Frankenstraße 9 – Edelfingen


Als Gretchen (Margarethe) Grünfeld, geborene Sulzbacher, am 30. März 1867 im bayerischen Tauberrettersheim geboren wurde, war die bürgerliche Gleichberechtigung von Juden noch nicht vollendet. Erst 1872 waren Juden in Deutschland gegenüber der Gesamtgesellschaft rechtlich prinzipiell gleichgestellt.

Sie war das zweite von vier Kindern des Händlers Simon Simche Sulzbacher (1828-1911) und der Hanna Sulzbacher, geb. Grünfeld (ca. 1830-1917). Sie wuchs gemeinsam mit zwei Schwestern auf, Babette Pessle (1865-1888) und Babette, genannt Betty (1875-1970 Haifa), ein weiteres Geschwister starb vermutlich kurz nach der Geburt im Jahr 1869.

Auch wenn die Juden in Tauberrettersheim eine Minderheit darstellten, so waren in Gretchens Geburtsjahr 1867 immerhin 63 Personen (9 Prozent) der 697 Einwohner jüdischen Glaubens.

In welchem Jahr Margarethe Anschel Meier Adolf Grünfeld (1864-1927) heiratete, ist nicht mehr bekannt. Doch wurde sie ab 1895 in relativ kurzen Abständen mindestens fünfmal Mutter. Nach den Söhnen Max Mordchai (1895-1928), Willy (1896-1941 Riga) und Joseph (1898-1942 Ghetto Krasnystav) brachte sie Tochter Berta (1900 – 1941 Riga) und Sohn Leo (1901 – 1941 Ghetto Litzmannstadt) zur Welt.

Davon wie ihre Jahre als Ehefrau und Mutter waren, zeugt der Nachruf auf ihren Mann, der am 1. Dezember 1927 in der Zeitschrift „Der Israelit“ erschien.

„Unsere kleine, leider nun fast ausgestorbene Gemeinde, hatte wieder einen herben Verlust zu beklagen. Am Sonntag, den 6. November trug man Adolf Grünfeld – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – zu Grabe, den Inhaber des Herrenkonfektionsgeschäftes S. Sulzbacher Nachfolger. Zwei Jahre sind es erst her, seit wir den unvergesslichen Bruder des Verstorbenen, Josef Grünfeld, verloren. Nun sind mit den beiden Brüdern die letzten Stützen der hiesigen Gemeinde ins Grab gesunken. Die Beerdigung war ein beredtes Zeugnis der Beliebtheit Adolf Grünfelds in allen Kreisen der Bevölkerung. Juden und Nichtjuden des Dorfes und der Umgebung folgten der Bahre, Kriegervereine und freiwillige Feuerwehr gaben ihrem langjährigen Mitglied das letzte Geleite. Der Verstorbene galt als Muster eines ehrlichen und fleißigen Geschäftsmannes. Unermüdlich übte er oft bis tief in die Nacht hinein das Schneiderhandwerk aus. Wer ihm bei seiner Arbeit, das Mützchen nach jüdischer Sitte stets auf dem Haupte zusah, wird dieses Idyll alten jüdischen Gewerbefleißes nie vergessen können. Seine Werkstätte lag neben unserer stillen Dorfsynagoge – ein Symbol des Lebens des Dahingeschiedenen. Der Tora und der Arbeit war es gewidmet. Mit glühendem Eifer hielt Adolf Grünfeld – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – am überlieferten Judentum fest, besorgte er die Bedürfnisse der Öffentlichkeit und in demselben Sinne erzog er auch alle seine Kinder. […] Immer mehr verwaist bleibt unsere einst so blühende kleine Gemeinde zurück, ein Beitrag zum traurigen Kapitel vom Untergang der Landgemeinden. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens.“

Anzeige in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 1. Dezember 1927: „Tauberrettersheim (Unterfranken), 20. November 1927[1]

Nur gute acht Jahre später war von der toleranten Stimmung in Tauberrettersheim nichts mehr zu spüren. Nachdem Gretchen Grünfeld bereits 1935 miterleben musste, dass “es zu Anschlägen auf jüdische Häuser [kam], u.a. wurde das Wohnhaus der Geschwister Josef und Betty Gunzenhäuser mehrmals mit Kot beschmiert“, kam es beim Novemberpogrom 1938 noch schlimmer. Nun „drangen SS- und SA-Leute in die beiden jüdischen Häuser am Ort [und damit vermutlich auch in Grechtchen Grünfelds Haus] ein: in einem der Häuser wurden ein Fenster und ein Leuchter zerstört, im anderen sämtliche Möbel und der Hausrat zerschlagen.“[1]

Wann genau die Witwe aus Tauberrettersheim wegzog, ist unklar. Einerseits findet sich der Hinweis darauf, dass in Tauberrettersheim „Im Winter 1939/40 […] zwei (nichtjüdische) Dorfbewohner beschuldigt [wurden], der Handelswitwe Gretel Grünfeld Brennholz verkauft zu haben“[1], andererseits wird sie bei der Volkszählung vom Mai 1939 bereits in Edelfingen – wo ihre Tochter Berta lebte – aufgeführt. Denkbar wäre, dass der Umzug nach dem Pogrom oder im Zuge der Flucht des Edelfinger Schwiegersohns in die USA im Jahr 1938 erfolgte.

Was muss in ihr in den wenigen ihr noch verbleibenden Jahren vorgegangen sein, als ein Kind nach dem anderen deportiert wurde? Nach der Deportation ihrer Tochter Berta und der Enkel Gertrud, Ruth und Salomon im Jahr 1941 lebte sie vermutlich noch geraume Zeit alleine in Edelfingen. Wie und warum im März 1942 ein Umzug nach Würzburg erfolgte, ist unbekannt. Bekannt ist lediglich, dass sie ab diesem Zeitpunkt im jüdischen Altersheim in der Dürerstraße 20 lebte.

Das Heim wurde noch im selben Jahr zwangsaufgelöst. Ärzte, Pflegende, Angestellten, Bewohner/innen und Kranken wurden deportiert. Unter ihnen war auch Gretchen Grünfeld. Am23. Sept. 1942 wurde sie ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie 13.05.1944 umkam.


1. http://www.alemannia-judaica.de/tauberrettersheim_synagoge.htm.


Verlegedatum: 07.Oktober 2021
Patenschaften: keine Vorhanden 
Autor: RH