Weissburger – Jeanette und Leopold


Lage: Obere Mauergasse 68 – Bad Mergentheim


„Undank ist der Welten Lohn“
Unter dieser Überschrift lässt sich das Leben von Jeanette Weißburger zusammenfassen.
Dabei begann ihr Leben vermutlich eher unspektakulär:

Jeanette Weisburger wurde im Jahr 1876 als Tochter des Metzgermeisters Isak und seiner Frau Fanny in Mergentheim geboren und wuchs gemeinsam mit ihrem vier Jahre jüngeren Bruder Leopold hier in der Altstadt auf. Vermutlich als junge Frau zog sie nach Frankfurt, ehe sie nach ihrer Hochzeit mit Adolf Weißburger 1909 nach Mergentheim zurückkehrte.

Es folgte eine eine kurze Phase der „Normalität“: Binnen drei Jahren schenkte sie drei Töchtern – Klara (*23.11.1909), Fanny (*19.12.1910) und Luise (*30.12.1912) – das Leben.
Diese Normalität währte nicht lange. Wann Adolf Weißburger als einfacher Gefreiter in den Ersten Weltkrieg eingezogen wurde, wissen wir nicht. Allerdings kam er im Jahr 1917 schwer verwundet zum Sterben nach Mergentheim zurück und starb mit erst 32 Jahren. Auch wenn er in Mergentheim starb, so war sein Tod doch die unmittelbare Folge von an der Front erlittenen Verletzungen – Jeanette war Kriegerwitwe und stand alleine mit drei Kindern im Alter von 5-8 Jahren da.

In dieser Situation brachte sich Jeanette in die Altwaren- und Lumpenhandlung ihres Bruders Leopold mit ein, die dieser gemeinsam mit dem gefallenen Adolf geführt hatte.
Als am 2. November 1924, sieben Jahre nach dem Tod des Ehemanns, in der Synagoge die Bronzetafel1 enthüllt wurde, auf der die Namen der acht „gefallenen Söhne der jüdischen Gemeinde“ genannt wurden, waren sicherlich auch Jeanette und ihre drei Töchter anwesend.
In der „Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs“ heißt es dazu: „An der Feier nahmen die Spitzen des Württembergischen Offizierbundes, der Polizeiwehrschar, des Kriegervereins, der Sanitätskolonne, des Städtischen Kollegiums mit dem Stadtschultheißen, evangelische und katholische Geistliche und viele christliche Bürger Mergentheims teil.“2
Bereits ein Jahr später, im Jahr 1925, wanderte die älteste Tochter Klara im Alter von 16 Jahren zur Tante nach New York aus und ein weiteres Jahr später folgte ihr erst 15-jährig die zweite Tochter Fanny3.
Gerade noch rechtzeitig, nämlich im Jahr 1939 emigrierte die jüngste Tochter Luise in die USA, so dass Jeanette und ihr Bruder ohne weitere enge familiäre Bindungen alleine zurückblieben.
In das Jahr 1939 fällt auch das Gewerbeverbot für Juden, so dass beiden die Verdienstmöglichkeiten wegbrachen. Ab Herbst 1939 mussten die noch in Deutschland verbliebenen Juden in sogenannten „Judenhäusern“ leben doch findet sich zumindest in der Meldekarte des Bruders kein Hinweis auf einen Umzug innerhalb Mergentheims, so dass die Geschwister vermutlich zumindest bis zum Dezember 1941 in der Oberen Mauergasse wohnten. Ab September 1941 mussten sie einen „Judenstern“ tragen.
Noch härter als diese Repressionen traf Jeanette vermutlich die Deportation des Bruders Leopold, der am 28. November 1941 zu den ersten aus Mergentheim Deportierten gehörte.

1942 kam auch für Jeanette Weißburger der erzwungene Abschied von ihrer Geburtsstadt. Sie musste in das Zwangsaltenheim Eschenau ziehen4. Dieses – wie auch alle anderen Zwangsaltenheime – hatte den Zweck der Ghettoisierung und sie waren von Anfang an nur als Zwischenstation zur anschließenden Deportation gedacht. Das provisorische und schnell umgebaute Zwangsaltenheim war zur Straße hin verschlossen und der Schlossgarten mit Zäunen und Maschendraht von der Außenwelt abgeschottet. Die alten Menschen durften das Grundstück am Tag nur kurz verlassen. Über das Ausgehverbot ab 20 Uhr wachte die Polizei.
Weitere Aspekte dieser unmenschlichen Unterbringung waren die Kälte in den nur schlecht beheizten Räumen, der Hunger aufgrund der geringen Lebensmittelrationen und Krankheiten aufgrund von unzureichenden Waschmöglichkeiten. Auch an Privatsphäre mangelte es, da sich die alleinstehenden Personen die größeren Räume mit mehreren anderen teilen mussten. Und letztlich litten „viele unter Einsamkeit, weil sie ihre vertrauten familiären Bindungen durch die Verfolgung und Flucht der Verwandten verloren hatten.“5

Doch obwohl die Lebensverhältnisse dort unmenschlich waren, zahlten die Bewohner viel Geld für die erzwungenen Heimeinkaufsverträge in der Hoffnung, bis zum Lebensende ein sicheres Wohnrecht zu haben. Im Durchschnitt waren 2000 Reichsmark für einen Platz in Eschenau fällig.
Jeanette Weißburger lebte eine halbes Jahr in Eschenau.
Über den Beginn der Deportation am 19. August 1942 weiß man, dass der Eschenauer Polizist Christian Koch die Hochbetagten antrieb und wüst beschimpfte. Im Beisein des Eschenauer Bürgermeisters warf er den Inhalt eines Rucksacks auf den Boden und trat auf Gebetbücher. Lediglich einen Koffer mit Bekleidung, Bettzeug, Essgeschirr und Verpflegung für wenige Tage durften die Bewohnen mitnehmen. Am 20. August 1942 wurde Jeanette von Stuttgart aus nach Theresienstadt deportiert. Bereits einen Monat später, am 26. September, erfolgte die Weiterdeportation mit einem Vernichtungstransport nach Treblinka, wo sie ermordet wurde.

Über das Leben des am 1. August 1880 geborenen Leopold Weißburger ist noch weniger bekannt als über das seiner Schwester.

Er, der vermutlich sein ganzes Leben in Bad Mergentheim verbrachte, blieb zeitlebens unverheiratet.

Gemeinsam mit dem Schwager gründete er – wie oben erwähnt – die Firma A. & L Weißburger OHG, die mit Altwaren-, Knochen und Hadern handelte6 und in die nach dem Tod von Adolf dessen Witwe Jeanette einstieg.

Große Reichtümer hat Leopold auf diese Weise sicherlich nicht anhäufen können, dafür spricht neben der Wohnadresse am Rande der Altstadt in einem eher kleinen Haus auch der Umstand, dass er sich ein Zubrot als Gemeindediener in der jüdischen Gemeinde verdiente. Der Umstand, dass zwei der Nichten sehr jung in die USA auswanderten, mag den Umstand ebenfalls untermauern.

Welche Funktion der Gemeindediener genau inne hatte, wechselte von Gemeinde zu Gemeinde, doch waren sie die niederen Gemeindeangestellten. Von der ungleich größeren Gemeinde in Frankfurt ist bekannt, dass Gemeindediener „Im Auftrag der Jüdischen Gemeinde die täglichen und einfachen Aufgaben aus[führte], die sich aus der Selbstverwaltung der Jüdinnen und Juden […] ergaben“7.

Wie bereits im Zusammenhang mit seiner Schwester Jeanette erwähnt, wurde die Luft zum Atmen ab 1933 immer dünner.

Bereits am 1. April 1933 kam es zum reichsweiten Boykott gegen jüdische Geschäfte und Praxen, ab 1938 musste er den Zwangsvornamen „Israel“ führen und als in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 auch die Mergentheimer Synagoge geschändet wurde, war Leopold als Gemeindediener natürlich direkt betroffen.

Die Kennzeichnungspflicht für deutsche Juden mit dem Davidstern am 1. September 1941 war die letzte Demütigung, die Leopold in relativer Freiheit traf, denn als der erste Deportationszug für Juden aus Württemberg und Hohenzollern zusammengestellt wurde, fand sich auch sein Name auf der Liste.

Gemeinsam mit zehn weiteren Mergentheimer Juden wurde er am 28. November 1941 mit dem ersten Transport nach Stuttgart-Killesberg überstellt und von dort am 1. Dez. 1941 mit 1000 württembergischen Juden nach Riga-Jungfernhof deportiert. Auf seiner Meldekarte steht mit dem Datum 28. November 1941 „unbekannt ausgewandert“.


1 Die Tafel befindet sich heute im Residenzschloss in der Abteilung zur Stadtgeschichte im Bereich zur jüdischen Geschichte
2 Die Synagoge in Bad Mergentheim (Main-Tauber-Kreis) (alemannia-judaica.de)
3 Lt. Bremer Passagierlisten fuhr sie am 17. September 1926 von Bremen nach New York
4 Die Informationen über die Lebensverhältnisse in Eschenau wurden dem Buch „Das jüdische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner“, herausgegeben von Martin Ulmer und Martin Ritter, Horb 2013 entnommen.
5 Ulmer, Ritter (Hrsg.): Das jüdische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner, Horb 2013, S. 52f.
6 Hadern sind alte Textilien/Kleidung für die Papierherstellung
7 https://metahubfrankfurt.de/jmf/stories/gemeindediener-kalmeschores/ (Zugriff:11.5.2024)

Verlegung: 6 Mai2024
Patenschaft: vorhanden
Autor: RH