Igersheimer – Sigmund und Fanny

Stolpersteine Sigmund und Fanny Igersheimer

Lage: Kapuzinergasse 14 – Bad Mergentheim


Sigmund Igersheimer betrieb in der Kapuzinerstraße 14 gemeinsam mit seiner aus Hechingen stammenden Frau Fanny, geb. Singer ein Geschäft für Schuhwaren und Herren- und Knaben-Konfektion.

Sigmund Igersheimer wurde am 6. August 1880 geboren und übernahm das väterliche Geschäft in der vierten Generation . Die Familie besaß seit 1829 das Bürgerrecht in der Stadt. Das Haus in der Kapuzinerstraße war seit 1842 in Familienbesitz.

Wann er seine am 14. Juli 1889 geborene Frau Fanny heiratete, ist nicht mehr bekannt, doch weiß man, dass die beiden zwei Kinder hatten.

Der am 18.12.1913 geborene Sohn Alfred überlebte den Holocaust in Palästina, von wo aus er nach dem Krieg nach Deutschland (Frankfurt) zurückkehrte und wo er am 25.06.1989 starb. Wann und aus welchen Gründen er remigrierte, ist nicht bekannt. Ein Frankfurter Adressbuch von 1970 belegt allerdings, dass er damals bereits in der Stadt wohnte.

Ein zweiter Sohn, der am 3.1.1920 geborene Erich, starb im Alter von 10 Monaten.

Sigmund und Fanny Igersheimer veräußerten ihr Geschäft bereits vor dem 1. Januar 1938 – dem Stichtag, ab dem Juden keine Gewerbebetriebe mehr besitzen durften, wodurch sie ihre Einkommensgrundlage verloren.

Ob der bei dieser Veräußerung erzielte Verkaufserlös geringer war als der eigentliche Wert, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Doch wurde bei diesen Arisierungen regelmäßig die Not der jüdischen Verkäufer genutzt, um den Preis zu drücken.

Unter dem zunehmendem Druck der NS-Herrschaft zogen die Eheleute am 5.7.1938 nach Stuttgart und von dort aus nach Baisingen. Der Grund für diesen zweiten Umzug ist nicht mit Sicherheit bekannt. Allerdings „wurden [in Baisingen] im Frühjahr 1941 aus Stuttgart und anderen Städten eine größere Zahl von jüdischen Personen zwangseingewiesen“[1]. Weshalb zu vermuten ist, dass der Umzug in diesem Zusammenhang erfolgte.

Das letzte „Lebenszeichen“ von Fanny und Sigmund Igersheimer sind ihre Namen auf der Deportationsliste für den ersten Sammeltransport von Stuttgarter Juden nach Riga bzw. Jungfernhof, der am 1. Dezember 1941 in den Osten fuhr. Von etwa 1000 Personen dieses ersten Transports überlebten weniger als 50[2] – Sigmund und Fanny Igersheimer gehörten nicht dazu.

Helmut Gabeli schreibt zur Verschleppung der Württemberger Juden:

Die Verschleppung der Juden aus dem Deutschen Reich wird zur „Geheimen Reichssache“ erklärt und im Stil einer gigantisch angelegten Polizeiaktion durchgeführt. […] Mit Erlass der Geheimen Staatspolizei vom 18. November 1941 teilt die Gestapo den bevorstehenden Transport mit:

Im Rahmen der Gesamteuropäischen Entjudung gehen z.Z. laufend Eisenbahntransporte mit je 1.000 Juden aus dem Altreich […] nach dem Reichskommissariat Ostland. Württemberg ist daran zunächst mit einem Transport von 1.000 Juden beteiligt, der am 1.12.1941 von Stuttgart aus abgeht. […] Die in Frage kommenden Juden wurden bereits hier zahlenmäßig und personell erfasst.“

Die formal-rechtliche Grundlage für die Beschlagnahmung des jüdischen Vermögens bildet die „11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.November 1941“ wonach ein Jude die deutsche Staatsangehörigkeit verliert, wenn er seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt. Verliert ein Jude die deutsche Staatsangehörigkeit, so verfällt sein Vermögen dem Reich. Die Deportation wird von den Nazis als Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland gewertet und das Vermögen geht an das Deutsche Reich[3].

In der Geheimen Reichssache ist ebenfalls festgelegt, dass die „in Frage kommenden Juden“ am selben Tag, d.h. am 18. November 1941 mit einem „in Mehrfertigung beiliegende[n] Rundschreiben (Einschreibbrief[4]) verständigt“[5] wurden und eine Transportnummer mitgeteilt bekamen. Spätestens jetzt waren Fanny und Sigmund nur noch eine „Nummer“, hörten für die Bürokratie auf, Fanny und Sigmund Igersheimer zu sein. Sie selbst werden vermutlich im Laufe der Woche, d.h. bis zum 22. November dieses Einschreiben zugestellt bekommen haben.

Im Falle der Baisinger Juden, zu denen die Eheleute Igersheimer zu diesem Zeitpunkt gehörten, erinnert sich ein am Transport beteiligter Fuhrmann in einem 1987 geführten Interview dahingehend, dass er an einem Abend im November (vermutlich handelt es sich um den Vorabend des 27. November 1941) von einem Landjäger aufgefordert worden sei, „am nächsten Morgen um drei Uhr sein Fuhrwerk vor dem Rathaus bereitzustellen.

‘Ich hab’ gefragt, was da gefahren wird. Da sagt er, das kann er nicht verraten. Da hab’ ich gesagt, da wird auch nicht gefahren. Da sind wir beinahe hintereinandergekommen, bis er dann gesagt hat, also die Juden kommen fort.‘“[6].

Und im Hinblick auf den nächsten Tag fährt er fort:

„Na ja, dann hat man die Leut’ aufgeladen. Da waren natürlich ältere Frauen, zwei Mäntel an, was sie alles haben anziehen können. Paket mit 30 Pfund oder 50 Pfund durften sie mitnehmen. Das hat dann mein Schwager aufgeladen auf seinen Wagen, und ich hab die Personen reingenommen und morgens um 7 mußten wir in Horb sein auf dem Güterbahnhof. Da sind sie dann verladen worden“.

Was hier nicht erwähnt wird, ist dass „Vor Überstellung der […] Transporte nach hier [d.i. Stuttgart] […] die Ortspolizeibehörde eine eingehende Durchsuchung nach Waffen, Munition, Sprengstoffen, Gift, Devisen, Schmuck usw. vorzunehmen“[7] hatte.

Die nächste Station für Sigmund und Fanny Igersheimer war der Stuttgarter Killesberg. Hier „fungierte das Gelände der 3. Reichsgartenschau 1939 […] [als Sammellager]. Dort oder im Gemeindehaus in der Hospitalstraße war zwischen dem 24. und 26. November das Gepäck abzuliefern. Seit dem 27. November trafen Betroffene aus den Landgemeinden, begleitet von Ordnungspolizisten, in Sonderabteilen oder -wagen regulärer Züge in Stuttgart ein. Während in der sogenannten Ehrenhalle des Reichsnährstands Visitation und Registrierung erfolgte, mussten die Menschen mehrere Tage und Nächte in drangvoller Enge in der Blumenhalle kampieren. Für die Deportation mussten die Opfer eine Fahrkarte bezahlen sowie die Beschlagnahme ihres (meist kaum noch vorhandenen) Vermögens quittieren. Ein von der Stapoleitstelle oder der Stadt in Auftrag gegebener Film über das Sammellager ist ein Dokument der Verzweiflung und Grausamkeit zugleich.“[8].

Aufgrund der Deportationslisten ist bekannt, dass sich in diesem Deportationszug neun weitere Juden aus Mergentheim[9], 10 Juden aus Edelfingen[10] und 6 aus Igersheim[11] befanden – auch sie kamen auf dem Transport oder in Riga ums Leben.


1. http://alemannia-judaica.de/baisingen_synagoge.htm (Zugriff: 10.11.2020)

2. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gut_Jungfernhof_(Lager) (Zugriff: 10.11.2020)

3. Helmut Gabeli, „Evakuiert“ und „Unbekannt verzogen“: Die Deportation der Juden aus Württemberg und Hohenzollern 1941 bis 1945, in: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.), „Evakuiert“ und „Unbekannt verzogen“: Die Deportation der Juden aus Württemberg und Hohenzollern 1941 bis 1945, MATERIALIEN, Stuttgart 2008, S. 15f.

4. Deportationsbescheid: Benachrichtigungsschreiben Deportation, Schreiben und Anlagen, Stadtarchiv Haigerloch Akte Nr. 898

5. a.a.O. Absatz VII

6. Becker Franziska, Die Nationalsozialistische Judenverfolgung in Baisingen, in: Sülchgau, Publikation Nr. 32, 1988, s. 193-196.

7. Erlaß der Geheimen Staatspolizei / Staatspolizeileitstelle Stuttgart an die Landräte und Polizeidirektoren vom 18. November 1941, Nr. II B 2 1147/41, Absatz V.

8. Roland Müller, „Deportationen“ seit 1941 mit Gedenkstätte Nordbahnhof, publiziert am 21.08.2020 in: Stadtarchiv Stuttgart, URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/e5486815-dabd-4b74-a64c-f36b28ce3345/1/%22Deportationen%22_seit_1941_mit.html (Publiziert am: 21.08.2020)

9. Mergentheim: Eckmann, Getta, geb. Lehmann, geb. 23.12.1882 in Burghaslach Krs. Scheinfeld; Eckmann, Josef, geb. 17.2.1888 in Burghaslach; Eckmann, Karoline, geb. Fröhlich, geb. 27.2.1881 in Unteraltertheim Krs. Würzburg; Eckmann, Ludwig, geb. 8.1.1923 in Burghaslach; Gerstner, Sara, geb. 29.7.1878 in Linsberg Krs. Bamberg; Rothschild, Sara, geb. 11.11.1889 in Mergentheim; Sänger, Klara, geb. 6.10.1880 in Bingen; Strauss, Selma geb. Berg, geb. 6.11.1880 in Tauberrettersheim Krs. Ochsenfurt; Weissburger, Leopold, geb. 1.8.1880 in Mergentheim

10. Edelfingen Kreis Mergentheim: Adler, Else, geb. 12.4.1895 in Edelfingen; Adler, Hedwig, geb. 15.8.1897 in Edelfingen; Adler, Zilly, geb. 26.9.1895 in Edelfingen; Bamberger, Jakob, geb. 17.12.1882 in Edelfingen; Frank, Berta, geb. Gründfeld, geb. 8.4.1900 in Tauberrettersheim Krs. Ochsenfurt; Frank, Gertrud, geb. 21.2.1926 in Bad Mergentheim; Frank, Ruth, geb. 24.9.1928 in Edelfingen; Frank, Salomon, geb. 23.9.1936 in Edelfingen; Lilienstrauß, Rosa, geb. 10.2.1893 in Homburg, Saar; Schorsch, Simon, geb. 21.1.1898 in Edelfingen;

11. Igersheim Kreis Mergentheim: Hartheimer, Rosa, geb. 4.3.1921 in Igersheim; Hartheimer, Schmaj, geb. 16.9.1877 in Igersheim; Hartheimer, Sofie, geb. Gutmann, geb. 14.10.1883 in Olnhausen Krs. Heilbronn; Rosenheimer, Gertrud, geb. Strauss, geb. 29.10.1912 in Mergentheim; Rosenheimer, Max, geb. 30.9.1907 in Archshofen; Strauss, Gertrud, geb. 29.10.1912 in Bad Mergentheim

Verlegedatum: 04. April 2019
Patenschaften: Sigmund: keine Vorhanden, Fanny: Abiturjahrgang 1973, Deutschordensgymnasium
Autor: RH